Erstinstanzliches Urteil zum Anspruch auf Inflationsausgleichszahlungen in der Elternzeit – Vorsorgliche Geltendmachung von Ansprüchen
Das Arbeitsgericht Essen hat mit Urteil vom 16. April 2024 (Aktenzeichen 3 Ca 2231/23) entschieden, dass die Inflationsausgleichszahlungen gemäß dem zwischen dbb, Bund und Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände abgeschlossenen Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise vom 22. April 2023 (TV Inflationsausgleich) während der Elternzeit in voller Höhe zustanden, wenn ein Vollzeit-Arbeitsvertrag vorlag. Die Nichtberücksichtigung der Personen in Elternzeit im TV Inflationsausgleich verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz. Der Tarifvertrag sei insoweit unwirksam. Es bestehe kein sachlich nachvollziehbarer Grund, Beschäftigte in Elternzeit schlechter zu stellen als beispielsweise Beschäftigte, die Kinderkrankengeld beziehen oder Anspruch auf Krankengeldzuschuss haben, auch wenn dieser aufgrund der Höhe der Barleistungen des Sozialversicherungsträgers nicht gezahlt wird, da auch diese Beschäftigten keinerlei finanzielle Leistungen vom Arbeitgeber beziehen.
Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin sind der TVöD und die den TVöD ergänzenden Tarifverträge, damit auch der TV Inflationsausgleich, anwendbar. Dieser sah für Vollzeitbeschäftigte einen Inflationsausgleich in Höhe von 1.240 Euro im Juni 2023 vor, wenn das Arbeitsverhältnis am 1. Mai 2023 bestand und an mindestens einem Tag zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 Anspruch auf Entgelt bestand. Des Weiteren sah der TV Inflationsausgleich monatliche Sonderzahlungen in Höhe von je 220 Euro für Vollzeitbeschäftigte in den Monaten Juli 2023 bis Februar 2024 vor, wenn an mindestens einem Tag im Bezugsmonat Anspruch auf Entgelt bestand. Die Klägerin war ab Sommer 2022 in Elternzeit und arbeitete bis Ende 2023 nicht bei ihrer Arbeitgeberin. In den im TV Inflationsausgleich genannten Zeiträumen im Jahr 2023 hatte die Klägerin demnach keinen Anspruch auf Entgelt.
Auch die in § 4 Absatz 2 TV Inflationsausgleich genannten Ansprüche, die einem Anspruch auf Entgelt gleichstehen, waren bei ihr nicht gegeben. Im Januar und Februar 2024 arbeitete sie während der Elternzeit in Teilzeit. Die Arbeitgeberin gewährte der Klägerin im Jahr 2023 keine Inflationsausgleichszahlungen, im Januar und Februar 2024 nur gemäß ihrer Teilzeitquote. Das Arbeitsgericht Essen urteilte nun, dass der Klägerin auch während ihrer Elternzeit die vollen Inflationsausgleichszahlungen zustanden, da die Nichtberücksichtigung der Personen in Elternzeit gegen das Grundgesetz verstoße. Der volle Anspruch bestehe sowohl in der Zeit, in der die Klägerin nicht bei der Beklagten tätig war, als auch in der Zeit, in der sie in Teilzeit tätig war.
Eine ebenfalls geltend gemachte Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sprach das Gericht der Klägerin nicht zu, da die Arbeitgeberin bei der Nichtzahlung des vollen Inflationsausgleichs nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig rechtswidrig gehandelt habe.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Berufung ist zugelassen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, kann dies nach unserer Auffassung über den Bereich des Bundes und der Kommunen hinaus auch Auswirkungen auf die Ansprüche auf Inflationsausgleich aus entsprechenden Tarifverträgen, etwa mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) oder dem Land Hessen, haben.
Wir empfehlen daher die vorsorgliche schriftliche Geltendmachung der zurückliegenden sowie zukünftigen Ansprüche auf Inflationsausgleichszahlung während der Elternzeit gegenüber dem Arbeitgeber. Musterschreiben zur Geltendmachung der Ansprüche für die Bereiche Bund / Kommunen, Länder der TdL und Hessen fügen wir als Anlagen bei. Im Bereich des Bundes und der Kommunen ist allerdings damit zu rechnen, dass die Arbeitgeberseite sich bezüglich der Ansprüche für Juni 2023 bis Oktober 2023 auf die sechsmonatige Ausschlussfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeits-, Ausbildungs- beziehungsweise Praktikantenverhältnis ab Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs berufen wird.
Volker Geyer
Stellv. Bundesvorsitzender, Fachvorstand Tarifpolitik