Zeit für mehr Zeit – Bildungspolitik in Hessen

vom | Kategorie: Aktuelles, hphv Mitteilungen

Die Apokalypse ist nah; zumindest mit Blick auf das hessische Schulsystem! Das war die Botschaft, die auf den landesweiten Demonstrationen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vom 20. September verkündet wurde. Unter dem Motto „Zeit für mehr Zeit“ wurde die Demonstration beworben. Ob es an diesem kryptischen Motto lag, dass die Teilnehmer in sehr überschaubaren Mengen kamen, sei einmal dahingestellt. Dass Bildung Zeit benötigt, wird niemand bezweifeln. Die Forderungen nach kleineren Klassen, mehr Lehrkräften, mehr Geld und mehr Wertschätzung für den Lehrberuf waren dann auch nicht neu. Es steht außer Frage, dass eine Schulklasse mit fünfzehn Kindern ein anderes Lernen und Lehren ermöglicht als eine mit dreißig. Das einzelne Kind kann sich in einer kleinen Klasse sicher besser entfalten als in einer großen. Dies auch, weil die Lehrkraft mehr Zeit für den Einzelnen finden würde. Deswegen ist es legitim, diesen Wunsch nach kleineren Klassen zu äußern.

Dafür braucht es aber keine Demonstration. Ziel derselben war es dann auch, die Gesamtsituation als katastrophal zu brandmarken. Konsequenz: Nur der Regierungswechsel verspricht Rettung. Ansonsten droht der Untergang. Mit derartigen Polemiken zu arbeiten, das sehen wir bundesweit an anderen Beispielen, sorgt nicht für eine seriöse Gesprächskultur. Darüber hinaus gilt: Die von SPD und Linke avisierte, auch von der GEW geforderte, Schule für alle wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Ad acta gelegte ideologische Schulkampfdebatten würden befeuert. Die Einheitsschule mit dem Einheitslehrer würde unseren Schülerinnen und Schülern schaden. „Zeit für mehr Zeit“ würde sie nicht hervorbringen.

Die Fakten sind die, dass die Migration nach Deutschland im Allgemeinen und der Ukrainekrieg im Besonderen zehntausende neue Schülerinnen und Schüler nach Hessen gebracht hat. Dies kann jeder bewerten, wie er will, es ist zunächst einmal so. Der Regierung, egal welcher Couleur, in dieser Lage vorzuwerfen, dass sie – gewissermaßen aus Knausrigkeit – „Zeit für mehr Zeit“ verhindere, ist polemisch. Selbst wenn noch mehr Geld in den Bildungssektor fließen würde, könnten damit keine neuen Lehrkräfte gewonnen werden; es sind nämlich keine da. Andersherum wird ein Schuh draus! Bereits jetzt ist teilweise zu beobachten, dass Schulen ihre finanziellen Mittel nicht vollumfänglich nutzen können, da sie schlicht und ergreifend kein Personal finden. Dies gilt vor allem für die Ganztagsangebote. Hier gilt, dass gerade im ländlichen Raum zahlreiche Kinder die Angebote gar nicht annehmen wollen. Wenn Oma daheim kocht, ist das ein starkes Argument, nicht in der Schule zu bleiben. An dieser Stelle auf fehlende Mittel zu verweisen, hilft nicht weiter und pauschalisiert. Das Gleiche gilt für die Schulverpflegung. Selbstverständlich sollte es das Ziel sein, jedem Kind ein Angebot mittags in der Schule zu machen. Gesund, nachhaltig, abwechslungsreich und preiswert, so soll es sein. Nicht zuletzt soll es auch gut schmecken. Annehmen müssen es die Schüler nicht, wieso auch? Niemand soll zum Essen gezwungen werden. Kostengünstig ist das Ganze auch nicht zu haben. Und auch hier gilt: Wo sollen die vielen Köche herkommen? Es gibt sie nicht.

Bildungspolitik in Hessen! Alles ok? Nein, natürlich nicht. Die digitale Ausstattung der Schulen unterscheidet sich stark von Schulträger zu Schulträger. Hier gibt es Handlungsdruck, v.a., wenn teilweise immer noch kein WLAN eingerichtet ist. Der Zustand mancher Schultoilette wurde oft genug thematisiert. Hier sind die Träger in der Pflicht! Auch die Herausforderungen, die die sogenannte Inklusion mit sich bringt, sind für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte nach wie vor hoch. Das gilt ebenso für die oben genannte Zunahme der Gesamtschülerzahl. Die Leistungsgerechtigkeit muss verstärkt in den Blick genommen werden. Schülerinnen und Schüler auf das Leben vorzubereiten, muss das Ziel sein. Ein – angeblich – bewertungsfreier Schonraum hilft keinem Kind. Die GEW ist auch hier auf dem Holzweg, wenn sie die Bewertung der Bundesjugendspiele beenden möchte und wenn sie fordert, Grundschulen notenfrei zu machen. Bei aller Kritik an den Noten, es gibt keine besseren Alternativen. Die von der GEW geforderten individuellen schriftlichen Entwicklungsberichte sind jedenfalls keine.

Der Hessische Philologenverband (hphv) spricht die Missstände im Bildungssystem immer wieder an. Er behält dabei auch die Belastung der Kollegien im Blick, ohne in Gejammer zu verfallen. Zahlreiche Ideen der Entlastung wurden z. B. auf dem letzten Gymnasialtag des Verbandes geäußert und den anwesenden Bildungspolitikern mit auf den Weg gegeben. Die Reduktion der Korrekturen in der Oberstufe, professioneller IT-Support an den Schulen sowie eine Entlastung für die Tätigkeit als Mentor haben bereits den Weg in die politische Debatte gefunden. Dies haben wir geschafft, in dem wir konstruktiv-kritisch mit der Politik im Dialog stehen. Unser Dachverband, der dbb, kämpft erfolgreich für eine angemessene Besoldung und für einen effektiveren Schutz der Lehrkräfte vor gewaltsamen Übergriffen sowie für eine gerechtere Verteilung der Freistellungen in den Personalräten. Er alleine hat nach zähem juristischem Ringen dafür gesorgt, dass das Land Hessen die Besoldung seiner Beamten korrigieren muss.

Der hphv ist ein seriöser Vertreter der Interessen seiner Mitglieder. Er redet Klartext. Er legt den Finger in die Wunde und macht dabei realistische Vorschläge zur Verbesserung der Gesamtsituation in unseren Schulen. Demonstrationen, auf denen Allgemeinplätze verkündet und ein Untergangsduktus gepflegt werden, sind nicht unser Ding!

Thorsten Rohde, stellvertr. Vorsitzender des hphv

 

 

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