Wenn Elfenbeinturm auf Schulrealität trifft – Der Hessische Philologenverband (hphv) zu den Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel
Ein Armutszeugnis ist es, wenn Experten sich nicht anders zu helfen wissen, als die ohnehin prekäre Situation in den Schulen mit „Empfehlungen“ noch zu verschärfen. Im Nebeneffekt büßt der Arbeitsplatz Schule weiter an Attraktivität ein. Dass hinsichtlich der Personalsituation in den Schulen schon jahrelang Handlungsbedarf besteht, daran besteht kein Zweifel. So ist etwa der IQB-Bildungstrend ein alarmierendes Zeichen: am Ende der 4. Klasse kann jedes 5. Kind nicht richtig lesen, schreiben, rechnen, und nicht erst seit Corona. Die vorgelegten wissenschaftlichen Notmaßnahmen gegen den Lehrkräftemangel zeugen jedoch von praxisferner Hilflosigkeit. Zu den Maßnahmen zählen die Begrenzung der Teilzeitarbeit, eine Ausweitung von Hybridunterricht und Selbstlernzeiten (bedürfen diese nicht der Kontrolle und Korrektur durch eine Lehrkraft?), eine Flexibilisierung von Klassengrößen, weiterhin die Erhöhung des Unterrichtsdeputats, auch die Entlastung der Lehrkräfte durch Studierende.
Wird der hessische Kultusminister in der derzeitigen Notlage sich an diesem Instrumentenkasten bedienen? Er wäre schlecht beraten. Prof. Alexander Lorz setzt politisch diplomatisch auf „Kreativität“ und möchte keine Denkverbote; er setzt auf gut qualifizierte Lehrkräfte und sieht Potenzial bei den Teilzeitbeschäftigten. Die in der Lehrerschaft zu mobilisierenden Reserven sind mehr als begrenzt, sieht man sich dort doch schon seit Jahren mit enormen pädagogischen Herausforderungen konfrontiert: Integration und Inklusion, Corona und Lernverluste, Verhaltensauffälligkeiten und individuelle Förderansprüche, um wesentliche zu nennen. Und Jahr für Jahr will ein angemessenes Abitur gestemmt werden. „Die Schmerzgrenze ist schon lange erreicht“, so der Vorsitzende des hphv, Reinhard Schwab. Er stellt fest: „Ohne zusätzliche Anrechnungszeiten für besondere pädagogische Tätigkeiten, auch hinsichtlich von Leitungsaufgaben, ohne vernünftige Entlastung von Bürokratie, ohne bessere Durchgriffsmöglichkeiten bei Lernunlust kann sich nichts bessern“. Hilfreich wären zudem klare Auswahlkriterien für den Übergang in das Gymnasium mit gleichzeitig stärkerer Gewichtung der Grundschulempfehlung. Eine Anerkennung der besonderen Arbeitsbelastung der Gymnasiallehrkräfte wäre die Anhebung der A14-Quote in den Schulen.
hphv-Pressemeldung vom 09.02.2023
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