Gymnasiale Bildung – Anspruch und Wirklichkeit: Die Vertreterversammlung in Frankfurt

vom | Kategorie: Berichte, hphv Mitteilungen

Unter dem LeitmotivGymnasiale Bildung – Anspruch und Wirklichkeit fand am 22. und 23. September die Vertreterversammlung des Hessischen Philologenverbandes (hphv) statt. Ausgerichtet vom Bezirk Wiesbaden war der Tagungsort dieses Mal Frankfurt, da das ursprünglich gebuchte Hotel in Niedernhausen wegen sicherheitstechnischer Mängel kurzfristig geschlossen werden musste. Die Delegierten beschäftigten sich an zwei Tagen mit aktuellen bildungs- und berufspolitischen Themen, verabschiedeten eine Resolution zum Thema „Quereinsteiger in den Lehrerberuf und legten die verbandspolitischen Ziele fest.

Am Donnerstag konnte Heini Schmitt, der Vorsitzende des dbb Hessen, begrüßt werden, der die gute und konstruktive Zusammenarbeit mit dem hphv betonte. In seinem Grußwort ging er auf die noch laufenden Tarifverhandlungen ein und erläuterte, dass die Alimentation in Hessen verfassungsmäßig zu niedrig sei.

Die Delegierten tagten bis zum Nachmittag und trafen sich dann in den Bezirken zu weiteren Gesprächen. Der gemeinsame Abend wurde musikalisch von dem Duo „Early bird and night owl“ abgerundet.

Wirklichkeit und Anspruch

In seiner Rede am zweiten Tag bezog sich der hphv-Vorsitzende Reinhard Schwab auf das Motto der Vertreterversammlung. Die Wirklichkeit, konstatierte Schwab, bestehe zurzeit aus einem „Dauerkrisenmodus“: Pandemiewellen, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, daraus resultierend eine Energiekrise und eine drohende wirtschaftliche Rezession. Lehrkräfte seien derzeit in ihrem Arbeitsumfeld permanent mit Krisenmanagement beschäftigt: Corona-Maßnahmen, Unterschiedlichkeit und Lernrückstände sowie fehlende Unterrichtsreife in der Schülerschaft, unzulängliche personelle, zu hohe Unterrichtsverpflichtung, schleichende Bildungsverflachung.

Dazu würden diverse Herausforderungen kommen, mit denen sich der hphv grundsätzlich konfrontiert sehe: Phänomene und Anforderungen im Zuge eines Zeitgeistes wie Inklusion und Integration, Engagement in Umweltfragen, gegenderte Kommunikation, Cancel-Culture-Kampagnen, des Weiteren „pädagogische Illusionen“, etwa der Heterogenitätsansatz mit seiner Ablehnung des differenzierten Schulwesens, auch das Konzept des eigenverantwortlichen Lernens mit der Reduktion der Lehrkraft auf den Status eines Lernbegleiters.

Im Anschluss an diesen Auszug aus der ‚Wirklichkeit‘ stellte Reinhard Schwab die Frage, was denn nun der ‚Anspruch‘ sei und ging dabei auf Humboldts Bildungsideal ein: Eine umfassende Bildung der Schülerinnen und Schüler sei mehr als Wissens- und Kompetenzerwerb, sie beinhalte die Entwicklung von Haltung, Charakter, Kritik- und Diskursfähigkeit, Fähigkeiten zu einer individuellen Mündigkeit und Selbstbestimmung, damit die kulturelle und gesellschaftliche Integration gelingen könne. Sie bezeichne die Entwicklung zu einem selbstverantwortlichen Menschen. Die gegenwärtige schulische Realität komme da jedoch nicht mehr mit.

Reinhard Schwab konstatierte, dass Lehrkräfte die Möglichkeit haben müssten zu lehren, beruhend auf ihrem soliden Fachwissen, überzeugt vom Fachgegenstand, auf einem angemessenen Niveau. Unterricht müsse dabei kognitiv und sozial aktivieren, Leistung wertschätzen. Lehren schließe aber auch menschliche Zuwendung ein.

Der hphv-Vorsitzende forderte: „Wir brauchen eine Schulpolitik, die sich an der Wirklichkeit orientiert, nicht an Hypothesen und ideologischen Luftschlössern, eine Bildungspolitik, die klare, verlässliche Vorgaben und Erwartungen formuliert. Das Maßnahmenpaket zur Stärkung der Bildungssprache Deutsch, vom Kultusministerium auf den Weg gebracht, ist ein erster wichtiger Schritt: die verbindliche Einführung einer verbundenen Handschrift, eine pädagogisch motivierte Fehlerkorrektur, ein Fehlerindex zur Bewertung der Sprachrichtigkeit für alle Fächer in den Jahrgängen 9 und 10 sowie Lektüreempfehlungen sind wichtige Bausteine des Konzepts.“

Am Freitagvormittag begrüßten die Delegierten auch Kultusminister Prof. Dr. Lorz. Mit dem Zitat „Gott gibt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht für uns“ begann er seine Rede, wies auf die Ausnahmesituation hin, die nun schon seit über zwei Jahren an den Schulen herrsche, und bedankte sich für die große Leistung aller an Schule Beteiligten. Das Schlimmste, was passieren könne, wäre ein weitere Pandemie-Winter, auf den man, zumindest in Bezug auf Hygienemaßnahmen und Tests, vorbereitet sei.

Bildungssprache Deutsch, Löwenstark und Lehrerbildungsgesetz

Prof. Lorz ging insbesondere auf „Bildungssprache Deutsch“ als einen Schwerpunkt der Arbeit des Kultusministeriums ein. Die große Anzahl an geflüchteten Kindern und Jugendlichen stelle die Schulen vor Herausforderungen, die es so noch nie gegeben habe. Alle sollten die Chance bekommen, erfolgreich an unserer Gesellschaft teilzunehmen. Daher habe sich Hessen in der Kultusministerkonferenz (KMK) dafür eingesetzt, Leitlinien zur Bildungssprache Deutsch zu entwickeln und diese in allen Bildungsetappen zu fördern. Der Minister zählte die verpflichtenden Vorlaufkurse auf, die sprachliche Förderung, die Betonung der Handschrift, die Einführung des Grundwortschatzes, die pädagogisch motivierte Fehlerkorrektur, ging aber auch auf Qualitätsoffensiven in anderen Fachbereichen ein (Mathematik, Kulturelle Bildung). Der Erwerb von Basiskompetenzen sei wichtig, so Lorz, aber die Persönlichkeitsentwicklung müsse ebenso gefördert werden: „Schule als Lebensraum prägt die Persönlichkeiten junger Menschen“.

Die Kompensation coronabedingter Lernrückstände bei Schülerinnen und Schülern mithilfe des Programmes „Löwenstark“ solle auch im Jahr 2023 fortgesetzt werden ebenso wie die Förderung der Maßnahmen zur psychosozialen Unterstützung.

Weiterhin ging Prof. Lorz auf das neue Lehrerbildungsgesetz ein, das demnächst verabschiedet werden soll. Ziel sei eine bessere Verzahnung der einzelnen Phasen der Ausbildung. Zudem werde durch die Implementation eines Praxissemesters der frühzeitige Kontakt junger Lehrkräfte mit der Praxis gewährleistet.

Landesabitur

Das Abitur sei in diesem Jahr wieder gut gelaufen, so stellte Prof. Lorz fest. Es seien weniger Abiturienten als in den letzten Jahren gewesen, was vermutlich auch mit der Umstellung von G8 auf G9 zusammenhing. Die Durchfallquote von 3,5 Prozent sei jedoch konstant geblieben und habe sich auch während der Corona-Pandemie nicht verändert. Ob es den Zeitzuschlag im nächsten Jahr noch geben werde, stehe noch nicht fest, der zusätzliche Aufgabenvorschlag bleibe auch weiterhin bestehen.

Bis zu diesem Jahr fanden die schriftlichen Abiturprüfungen in Hessen immer vor den Osterferien statt. So konnten die Ferien zur Korrektur genutzt werden. Im Sinne einer Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der Abiturprüfungen in allen Bundesländern sollen nun alle Klausuren zeitgleich nach den Osterferien geschrieben werden. In seinen Ausführungen erkannte Prof. Lorz die Belastungsspitzen bei den Korrekturen an, da die Osterferien nun wegfallen würden, verwies aber auf die Möglichkeiten der Schulen, angepasste Lösungen zu finden (Einführung von Korrekturtagen, Entlastungsstunden). Es werde keine zentrale Vorgabe geben, sondern die Schulen sollten selber entscheiden, wie sie für Entlastungen sorgen wollen. Lorz beendete seine Rede mit einem Dank an alle Lehrkräfte für den guten Verlauf des diesjährigen Abiturs und zeigte sich zuversichtlich, dass auch in Zukunft ein gutes, hessisches Abitur etabliert werde.

In der anschließenden Aussprache stellten die Delegierten kritische Fragen genau zu diesen uneinheitlichen Entlastungen und wiesen auf die Problematik der individuellen Schulentscheidungen hin. Verschiedene Möglichkeiten wurden diskutiert und an den Minister zur weiteren Bearbeitung „mitgegeben“.

Gendersprache in den Schulen

Nachgefragt wurde auch der Umgang des Kultusministeriums mit „Gendersprache“ in den Schulen. So gab es den Hinweis, dass es an Universitäten zum Teil Punktabzüge und schlechtere Noten gebe, wenn in den Arbeiten oder Klausuren keine gegenderte Rechtschreibung verwendet würde. In seiner Antwort verwies der Kultusminister auf die Empfehlungen zur gendersensiblen Sprache des Rats für deutsche Rechtschreibung aus dem Jahr 2021, die die Verwendung von Gender-Sternchen, Unterstrich u.a. ausschließen. Eine gegenderte Schreibweise in Schule und in Schulverwaltung sei unzulässig ebenso wie das Einfordern einer gegenderten Rechtschreibung, so der Minister.

Prof. Lorz stellte überdies fest, dass die Sprache und deren Regelungen sich stetig im Wandel befänden und es gut sein könne, dass sich im Laufe der Zeit auch Rechtschreibregeln in Bezug auf das Gendern ändern könnten. Zurzeit gelte aber die vom Rat für deutsche Rechtschreibung vorgegebene Rechtschreibung. Sollten also Lehrkräfte Schreiben von Behörden aus den Reihen der Schulverwaltung erhalten, die gegendert seien, könnten diese an das Ministerium weitergeleitet werden. Der Kultusminister wolle dann die Verfasser an die Rechtsnormen erinnern. Dies sorgte im Plenum für Erheiterung und dem Minister wurde die Frage gestellt, wie groß sein Postfach sei, weil dieses vermutlich nicht ausreiche. Zu der Frage, ob gegenderte Texte der Schülerinnen und Schüler von Lehrkräften als fehlerhaft korrigiert werden müssen, äußerte er sich nicht. Deutlich wurde in jedem Fall, dass dieses Thema die Schulen auch weiterhin beschäftigen wird.

Ein ganz herzlicher Dank gilt dem Versammlungsleiter Bert Thieme und dem Bezirk Wiesbaden für die Planung des Rahmenprogrammes und die Besetzung des Tagungsbüros.

Ein ausführlicher Bericht folgt in der Ausgabe 5/2022 von “Blickpunkt Schule”.

Dr. Iris Schröder-Maiwald, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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